Neueste Erkenntnisse aus der Hirnforschung zeigen, dass es möglich ist, sich in jedem Alter neu und ganz bewusst gegen Routine, Trägheit und Trübsal zu entscheiden. Jede neue Erfahrung, die sich von bisher gemachten unterscheidet, ist gut für das Gehirn und die persönliche Entwicklung. Menschen, denen es gelingt, sich darauf einzulassen, ihre alten Erfahrungen in Frage zu stellen und neue Erfahrungen zu machen, können viele Veränderungen bewirken, d.h. dass sie z. B. alte Muster, die sie immer wieder belasten, tatsächlich verändern können und so gegen Trägheit, Routine und Trübsal angehen können. Es geht dabei nicht einfach um Nutzung bekannter Ressourcen, sondern das Schaffen von Begeisterung für Neues.
Hierzu ein Auszug aus einem Interview mit Hirnforscher Gerald Hüther, managerSeminare | Heft 159 | Juni 2011:
„Prof. Dr. Gerald Hüther: Nach allem, was wir aus der neurobiologischen Forschung der vergangenen Jahre wissen, wäre es wichtig, Mitarbeiter nicht zu fördern, sondern sie wiederzuerwecken. Denn Menschen kommen nicht als Förderungsbedürftige zur Welt. Alle Menschen haben zumindest am Anfang ihres Lebens mal eine Zeit erlebt, wo sie mit großer Begeisterung gelernt, sich Neues angeeignet, etwas entdeckt und gestaltet haben. Das ist ihnen nur leider mit der Zeit durch ungünstige Bildungserfahrungen ausgetrieben worden.
Am Anfang, etwa bei einem dreijährigen Jungen, sind das Entdecken und das eigene Gestalten mit großer Lust verbunden. Und deshalb haben sich im Hirn sozusagen das Netzwerk fürs Entdecken und das Netzwerk für die Lust miteinander verknüpft. Deshalb spricht man von Lernlust und Gestaltungsfreude. Und dann schickt man die Kinder durch Bildungssysteme, in denen aus dieser Lust, die ursprünglich mit dem Entdecken verkoppelt war, Angst, Druck, Ärger, Unwohlsein und Ohnmacht werden.
Solche unangenehmen Gefühle hängen sich an das innere Netzwerk, an das innere Bild vom Lernen. Und wenn man dann einem Mitarbeiter mit etwa fünfzig Jahren sagt „Du sollst was lernen“, dann melden sich bei dem die unangenehmen Gefühle aus dem Bauch, weil diese in seinem Gehirn an den Begriff Lernen gekoppelt worden sind.
Hüther: Bestrafung oder Belohnug – es ist vollkommen egal, wie man’s macht: Beides ist eine Dressur, beides ist der Versuch, den Mitarbeiter so abzurichten, wie man ihn braucht. In beiden Fällen kommt ein Mitarbeiter heraus, der sich vorübergehend so verhält, wie man sich ihn wünscht, der also eine gewisse Leistung bringt. Das Fatale aber ist: Die Führungskraft muss sich immer mehr Belohnungen ausdenken oder immer mehr Sanktionen androhen.“
Hier lohnt es sich anzusetzen, denn wie häufig regieren Frust, Druck und Angst z. B. in der Projektarbeit. Am Anfang stehen noch Freude und Euphorie über den gewonnen Auftrag, über die neue Herausforderung, doch schon schnell treten die ersten Probleme auf. Oft, weil die Arbeitsanforderungen unterschätzt wurden, weil das Team nicht rechtzeitig und professionell ausgewählt wurde oder weil einfach viele persönliche Befindlichkeiten die Abläufe stören.
Jetzt liegt es an der Führung, das Team zu steuern und zu motivieren, um positive Verknüpfungen zu schaffen und nicht alte Belastungen in den Vordergrund treten zu lassen. Wird z.B. verstärkt Druck ausgeübt, so kann dieser auf alte Erfahrungen wirken, etwa dass in der Schule starker Lerndruck ausgeübt wurde, und so auch das alte Verhaltensmuster wieder hervorholen. Der Mitarbeiter wird getriggert und reagiert auf die Drucksituation wie damals in der Schule mit Angst und Frust. Dieses führt, wie man sich denken kann, nicht zu einer Leistungssteigerung, sondern eher zur Demotivation und zu Angst.
Besser ist es, sich mit der Gesamtsituation im Team auseinanderzusetzen und zu prüfen, wo die Schwierigkeiten entstehen. Das können z.B. Konflikte im Team sein (Kampf um Führungsposition), persönliche Probleme des Einzelnen (Angst vor Jobverlust) oder eine mangelnde Kommunikationsfähigkeit bzw. unterschiedliche Kommunikationsebenen (Fragen auf der Sachebene werden auf persönlicher Ebene wahrgenommen, etwa als Angriff/Kritik). Werden diese Probleme ausgeräumt, entstehen eine vertrauensvollere Teamatmosphäre sowie eine angstfreie Arbeitsumgebung, die die Motivation der Mitarbeiter fördert. Diese werden dann nicht durch alte Erfahrungen belastet, sondern erhalten die Chance ihr Gehirn neu zu „programmieren“, um so neue Ideen zu entwickeln und dadurch ihre Motivation immer weiter zu steigern.